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Machen, nicht reden

Steffi Trittel (rechts), Bürgermeisterin von Hohe Börde, führt Avacon Kommunalreferentin Antje Klimek durch ihre grüne Gemeinde. ©Norbert Perner

Mutig sein, zupacken und dabei alle mitnehmen – mit diesem Rezept haben Bürgermeisterin Steffi Trittel, ihre Gemeinde Hohe Börde und die Bürgerinnen und Bürger selbst Außerordentliches geleistet.

Frau Trittel, was zeichnet die Hohe Börde aus und wie lässt sich das Lebensgefühl in Ihrer Gemeinde charakterisieren?

Zunächst einmal sind wir eine typische Landgemeinde in der Nähe von Magdeburg. Von einem stadtnahen Speckgürtel bis zu einer dörflich geprägten ländlichen Region ist alles dabei. Mit 19.000 Einwohner:innen wächst unsere Gemeinde übrigens, gegen den Trend und entgegen aller Prognosen.

Wir sind eine Gemeinde, in der die Bürger:innen sich wiederfinden. Das ist viel mehr als das Gefühl und das Bemühen, sie stets einzubeziehen. Unser Motto heißt: „Wir sind das Dorf.“ Dieses Motto unseres Freiwilligenbüros leitet uns. Wir wollen alle Bürger:innen gleichberechtigt mitnehmen und einbeziehen. Das ist zugleich die größte Herausforderung: die eigene Zukunft selbst aktiv mitzugestalten.

Seit 30 Jahren für ihre Gemeinde aktiv: Steffi Trittel, Bürgermeisterin der Gemeinde Hohe Börde und Vorsitzende der Stiftung „Leben in der Börde“ © Norbert Perner

Wie packen Sie es an, damit das gelingt?

Es ist ein ständiges Wechselspiel zwischen Politik, politischen Gremien, Verwaltung und Bürgern, in dem sich Bedürfnisse, Anliegen und neue Ideen bewegen. Am Anfang werden gemeinsam die Ziele abgesteckt. Wo liegen Bedarfe und Bedürfnisse? Das geht weit über Organisatorisches und Fragen der Infrastruktur hinaus.

Wenn wir uns gemeinsam, im Konsens, nachhaltige Ziele stecken und Ideen aufgreifen, erzeugt das eine gute Stimmung; es weckt die Lust, an der Zukunft mitzuarbeiten. Man muss natürlich Mitstreiter:innen für seine Ideen finden, dann ist es wie ein kleiner Wettbewerb der guten Ideen, auch zwischen den Dörfern. Das kann andernorts genauso funktionieren, Vorbilder strahlen aus. Es dürfen auch einmal Pilotprojekte vorauseilen, es müssen nicht immer die hohen Leuchttürme sein. Wir haben so gute Erfahrungen bei kleinen Projekten gemacht, in der Kultur und im sozialen Miteinander. Das stärkt den Zusammenhalt. Vorbild sein regt auch andere an. Wir schaffen viele kleine soziale Orte des gemeinschaftlichen Miteinanders.

 

Können andere Gemeinden dieses Modell übernehmen und davon profitieren?

Auf jeden Fall. Zum Beispiel die Aktivitäten unserer Vereine, die wir gern begleiten. So erfahren die Bürger:innen praktisch, dass sie mitgestalten können und ihr Engagement willkommen ist. Das stärkt die demokratische Kultur. Geld allein – wir geben ja zwei Euro je Einwohner:in – macht es auf keinen Fall. Es ist die Begleitung, das Wohlwollen, da helfen konkrete Tipps und zuverlässige Unterstützung, keine Allianz des Verhinderns.

Alle Bürger:innen gleichberechtigt mitzunehmen und einzubeziehen ist Voraussetzung dafür, die eigene Zukunft aktiv mitzugestalten. © Uwe Tölle

„Machen, nicht reden“ ist unser Motto beim Freiwilligenbüro, das von der Stiftung „Leben in der Hohen Börde“ getragen und von der Gemeinde Hohe Börde unterstützt wird. Hilfe und Begleitung bei konkreten Aktivitäten: Wir sehen uns als Ansprechperson, da gibt es keine Hemmschwelle. Die unterschiedlichsten Aktivitäten sind willkommen. So haben wir die Strukturen geschaffen, die das Engagement der Bürger:innen aufblühen lassen – übrigens ein langer Prozess über zehn Jahre von der ersten Idee bis zum heutigen Stand. Heute haben wir zwei feste Stellen – eine im Rathaus, die Kommunale Engagementberatungsstelle, und eine bei der Stiftung, das eigentliche Freiwilligenbüro. Beide stützen und begleiten dieses Engagement

Die Menschen in den Dörfern entfalten eine tolle Kraft – wenn sie wollen, wenn wir diese Kraft wecken. Wenn sich diese gemeinsame Kraft nicht entfalten kann, wird daraus Frust. Wir feiern bei lokalen Festen viel gemeinsam und kommen zusammen, um uns auszutauschen. Mir hat das immer wieder wertvolle kleine Begegnungen und tolle Erlebnisse beschert, die mein Leben bereichern.

 

Gibt es ein Erfolgsrezept, damit solche Pläne gelingen?

Auch bei uns ist nicht alles gut und alles gelungen. So ist es im Leben. Trotzdem legen wir die Latte hoch, was unsere Ziele angeht. Wir nehmen Impulse und frische Ideen auf, heißen sie willkommen und geben ihnen über das Freiwilligenbüro eine Struktur. Das ist ein langjähriger Prozess, für den wir werben. Zum einen kann der Staat das sowieso nicht allein, zum anderen wollen wir motivieren, nicht Hilfe und Helfende bezahlen. Nicht die Monetarisierung von Leistungen, nicht bezahlte Nachbarschaftshilfe, sondern das gegenseitige Geben und Nehmen ist unser Ansatz. Sei es bei der Hilfe für Geflüchtete aus Afghanistan oder aus der Ukraine, während der schwierigen Corona-Zeit, bei Überschwemmungen oder den Harzbränden und bei anderen Gelegenheiten – auf unsere zahlreichen freiwilligen Helfer:innen ist Verlass. 

Nicht nur bei der Fahrrad-Sternwanderung „Tour de Börde“ ist die Ladestation für E-Bikes gefragt. © Norbert Perner

Beim Freiwilligentag im April waren 300 Mithelfende bei 30 Aktionen in den Ortschaften aktiv, die „Tour de Börde“ als Fahrrad-Sternwanderung aller Generationen hat gezeigt, dass alle füreinander da sind und einstehen. Beim „Tag der Regionen“ wird in den Dörfern gemeinsam gefeiert. Die Eigeninitiative vor Ort funktioniert hervorragend. Wir müssen keine „Show-Acts“ einkaufen und freuen uns jetzt schon auf das bunte Spektakel beim Herbstfest.

Für die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Avacon ist Steffi Trittel dankbar. © Norbert Perner

2024 steht die nächste Kommunalwahl an. Wie fördern Sie das Engagement von Frauen?

Wir ermuntern sie gezielt zum Machen. Eine gute Vorbereitung oder eine entsprechende Ausbildung hilft dabei. Angst ist fehl am Platz. Ich plädiere nicht für eine Quote. Wir brauchen, um gute Kommunalpolitik zu machen, einfach die Beteiligung von Frauen. Ihr Wissen, ihr Können und ihre Diplomatie sind gefragt. Dafür haben wir einen Coach aus Magdeburg und die Veranstaltungsreihe „Frauen stärken“. Und wir wollen gute Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass sie sich engagieren können.

 

Welche Aktivitäten liegen Ihnen derzeit besonders am Herzen?

Erwähnen möchte ich die Schulen und Kindergärten. In unseren 14 Ortschaften arbeiten jeweils vier bis fünf Kindergärten als eine Einrichtung zusammen. Mit einer vernünftigen Organisationsstruktur konnten wir auch kleine Einrichtungen erhalten. Mir liegt daran, alle Dörfer gleich zu behandeln, und gerade Kindergärten sind für die Attraktivität eines Dorfes sehr, sehr wichtig.

Mit dem Projekt „Grüne Gemeinde“ wird Hohe Börde noch lebenswerter. © Uwe Tölle

Ein zweites Projekt ist die „Grüne Gemeinde“ – eine große Ehre für uns ist die Auszeichnung vom 27. Juni und diese findet übrigens auch beim Land Sachsen-Anhalt Anerkennung. Verliehen wird sie durch die Gartenakademie Sachsen-Anhalt. Mit dem gemeinsamen Ziel, ökologisch bewirtschaftete Gärten zu befördern, arbeitet sie bereits seit zehn Jahren mit ihrer niederösterreichischen Partnerorganisation zusammen. Vom Kindergarten über die Jugend bis zu erfahrenen Privatgärtner:innen – und natürlich bis zur Kommune selbst – machen alle mit: Kleine und große Gärten, Blühwiesen oder -streifen und öffentliches Grün inklusive der Friedhöfe machen unsere Kommune klimafreundlicher. Das umfasst Böden, Wasser, Luft und erfreut auch die Tierwelt. Unsere Mitarbeiter:innen und wieder viele Freiwillige waren dafür unterwegs. Wer wollte, konnte seinen Garten mit einer Plakette zertifizieren – übrigens gern auch wilde Ecken.

 

Mit Ihrer langjährigen Erfahrung können auch jüngere Bürgermeister:innen einiges von Ihnen abschauen. Welchen Rat würden Sie ihnen geben?

Wir haben viele gute Bürgermeister:innen, die meinen Rat nicht benötigen. Persönliche Voraussetzung für ein solches Amt ist natürlich, dass die Familie mitspielt. Dafür danke ich meinem Mann. Ich habe Landwirtschaft studiert und mein Berufsleben als Hauptbuchhalterin einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft begonnen. Der kleine Job in der Kommunalverwaltung seit 1992 war zu Anfang nur eine „Zugabe“. Es gibt viele Leitsätze, die mir persönlich weitergeholfen haben: Immer dazulernen zu wollen ist hilfreich, gern auch besser sein und sich an die Spitze der Bewegung zu setzen, wenn man etwas als richtig und notwendig erkannt hat. Meine Empfehlung für andere ist immer: ganz dabei sein, nicht halb. Aber auch jeden Tag prüfen, ob man richtig liegt.

„Sich regen bringt Segen“ – mit diesem Leitsatz können Sie vieles anpacken und richtig machen. Als Leitende:r müssen Sie auch leiten – ich hatte immer das Glück, dass mich fähige und motivierte Mitarbeiter:innen dabei unterstützt haben.

 

Und wenn Sie zum Jahresende als Bürgermeisterin aufhören …

… werde ich bestimmt nicht die Hände in den Schoß legen. Ich scheide nicht mit Wehmut, die Arbeit der Stiftung und anderes geht ja weiter. Ich hoffe, gesund zu bleiben, und weil ich in meinem Leben nicht viel gereist bin, würde ich einiges gern nachholen. Zum Beispiel die Oper in Sydney sehen und den Klang ihrer Orgel hören – ein Lebenstraum.

Der Ortstermin führte Bürgermeisterin Steffi Trittel (links) und Avacon Kommunalreferentin Antje Klimek zu vielen Ergebnissen bürgerschaftlichen Engagements wie zum Beispiel der bunten Mitfahrbank. © Norbert Perner

Wenn ich auf die Hohe Börde blicke, ist das eine sehr große Gemeinde, aber auch eine sehr gute Gemeinschaft. Dank öffentlicher Fördermittel, aber auch der Steuereinnahmen aus unseren Betrieben konnten wir während meiner Amtszeit 60 Millionen Euro investieren und 30 Millionen Euro Schulden tilgen – für die Region ist das ein Segen. Keine Ortschaft wird vernachlässigt oder benachteiligt und alle fahren besser, auch wenn die Schulstandorte etwas mehr abbekommen. Wir haben etwas aus unseren Möglichkeiten gemacht, und als „Engagierte Stadt“, ursprünglich ein Bundesprojekt, werden wir dranbleiben.

Ein sehr schönes Beispiel für unser Engagement ist auch die „Tour de Börde“ im Juni, eine Radfahrt, die 2023 schon im zehnten Jahr stattgefunden hat. Danke für die Unterstützung von Avacon, die uns immer zur Seite steht – diesmal zum Beispiel mit T-Shirts für die Tour.

Hohe Börde

Die Gemeinde Hohe Börde im Landkreis Börde nahe Magdeburg umfasst 14 Ortschaften mit rund 19.000 Einwohner:innen. Sie war „Kommune des Jahres 2022“ in Sachsen-Anhalt – ein Preis, den der Ostdeutsche Sparkassenverband und „Superillu“ gemeinsam verleihen. Er würdigt das herausragende bürgerschaftliche Miteinander, zu dem die Gemeinde über das Freiwilligenbüro „aktive hohe börde“ motiviert. Von der Unterstützung für Geflüchtete aus Afghanistan oder der Ukraine bis zu Digitalhelfer:innen für ältere Mitbürger:innen vermittelt das Büro – unbürokratisch – Hilfe und Helfende in unterschiedlichsten Lebenslagen.

Im Juni 2023 wurde Hohe Börde als „Grüne Gemeinde“ ausgezeichnet. Die Gartenakademie Sachsen-Anhalt würdigt auf diese Weise das hervorragende Engagement von Bürger:innen sowie der Gemeinde selbst für private Gärten und öffentliches Grün, das ohne Torf, ohne Chemie und Pestizide arbeitet. Viele gute Ideen, von der grünen Verkehrsinsel bis zum Blühstreifen, vom Malwettbewerb im Kindergarten bis zum geschulten Klimascout, machen das Leben in der Kommune grüner, klimafreundlicher, lebenswerter.