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Wie Tangermünde seine Zukunft plant

Gespräch vor dem Blindentastmodell: Bürgermeister Steffen Schilm (li.) diskutiert mit Carsten Birkholz, Kommunalreferent von Avacon, über die weitere Stadtentwicklung Tangermündes. © Norbert Perner/perner&schmidt werbung und design gmbh

Tangermünde baut Barrieren ab

Seit Juli 2022 ist Steffen Schilm als Bürgermeister Tangermündes im Amt. Seit 20 Jahren in der Verwaltung tätig, kennt er die Stadt, Probleme und Aufgaben bestens. In unserem Interview erläutert Steffen Schilm Ideen und Pläne, wie Tangermünde für seine Bewohnerinnen und Bewohner lebenswert bleiben soll und für auswärtige Gäste noch attraktiver werden kann. Tourismus und Wirtschaft, Barrierefreiheit und Mobilität spielen dabei eine große Rolle.

Die Kaiser- und Hansestadt ­Tangermünde mit über 10.000 Einwohnern liegt an der Elbe im Landkreises Stendal (Sachsen-Anhalt). Den historischen Stadtkern besuchen viele Gäste von auswärts, deshalb spielt der Tourismus eine wichtige wirtschaftliche Rolle in der Wirtschaft – und beeinflusst auch andere Branchen stark.

Herr Schilm, welche Bedeutung hat der Tourismus für Ihre Stadt und für Ihre Arbeit?

Eine größere, als man zunächst denkt. Tangermünde hat seit 2020 ein Tourismus-Marketingkonzept, mit vielen Punkten, die wir bearbeiten. Zum Beispiel die Elbpromenade: Wir wollen sie so attraktiv gestalten, dass der Erlebniswert für Besucher steigt. Das wird man in diesem Jahr schon sehen. Die Gastronomiebranche beteiligt sich intensiv an der Entwicklung, die der Stadt insgesamt und jedem Bürger zugutekommt. Unser Wahrzeichen, das Neustädter Tor, ist jetzt begehbar, die Stadtführer scharen schon mit den Hufen. Türmekonzept und Flüstergassen lassen die Stadt noch intensiver erleben.

Übrigens arbeiten wir bei all diesen Planungen eng mit dem Landkreis, mit regionalen Institutionen wie dem Altmärkischen Regionalmarketing- und Tourismusverband (ART) zusammen.

Rampen schaffen Menschen, deren Mobilität eingeschränkt ist, einen problemlosen Zugang zu Gebäuden. © Norbert Perner/perner&schmidt werbung und design gmbh

Sie haben selbst einmal bedauert, dass die Planungen nicht ohne Weiteres barrierefrei sind?

Ja, das ist eine langfristige, schwierige und nicht immer widerspruchsfrei zu lösende Herausforderung. Einerseits wollen wir natürlich Barrierefreiheit für möglichst alle Menschen, andererseits stellt der Denkmalschutz hohe Anforderungen. Wir wollen die historische Substanz erhalten, doch an Barrierefreiheit im Straßenbau und in der Stadtentwicklung insgesamt hat bis vor 20 oder 25 Jahren kaum jemand gedacht. Es gibt Zielkonflikte, doch sie sind für uns ein Ansporn, gute Lösungen zu finden. Die Interessengruppe "Barrierefreies Tangermünde" bringt diesen Anspruch mit ein - in einer mittelalterlich geprägten Stadt mit gepflasterten, engen Gassen und schmalen Gehwegen keine Kleinigkeit. Es ist ein großes Anliegen, schließlich betrifft es die Tangermünder genauso wie Besucher und Gäste, und ich bin ausgesprochen dankbar für die Förderung, die wir erhalten. Ohne Förderung wäre in diesem Bereich vieles nicht möglich.

 

Wie ist der Stand bei der Barrierefreiheit, was wurde erreicht?

Wir schaffen ein Terminal für Menschen, deren Mobilität eingeschränkt ist, und wir haben das auch überregional beachtete Blindentastmodell (siehe unten). Daran lässt sich ablesen, wie vielfältig die Aufgaben und wie unterschiedlich die Herausforderungen sind. Ein Gehweg ohne Pflaster bietet auch für jemand mit Rollator einen Zugang die die Stadt, für sehbehinderte Menschen haben Sie damit noch nichts getan. Das Tastmodell lässt immerhin erahnen, wie die Konturen der Stadt sind und wie sie verläuft – mehr als ein Behelf kann das leider nicht sein. Die Erfahrungen behinderter Menschen, wie sie die Stadt wahrnehmen und erleben, sind eine große Hilfe, damit wir auf unserem Weg vorankommen. Beispielsweise brauchen wir eine kleine Wasserkante, damit größere Regenmengen abfließen können- Wenn Planende und Mobilitätseingeschränkte sich miteinander bereden, hilft das allen Beteiligten und steigert die Akzeptanz enorm.

© Norbert Perner/perner&schmidt werbung und design gmbh

Wie sieht es bei Verkehr und Mobilität in Tangermünde aus?

Schon seit geraumer Zeit gibt es bei uns den Wunsch, die Innenstadt verkehrsärmer zu gestalten. Wie weit das sinnvoll und möglich ist, werden die Gespräche zeigen. Das wollen wir nicht verordnen. Wir brauchen einen Kompromiss zwischen Gastronomie und Einzelhandel, deren Interessen nicht übereinstimmen. Und die hohe Lebensqualität derjenigen, die in der Innenstadt wohnen, vielleicht im Obergeschoss über einem Einzelhandelsgeschäft oder Handwerkerladen, wollen wir unbedingt erhalten. Diese Einwohnerinnen und Einwohner bestätigen uns immer wieder, wie sehr sie diese Struktur und das Straßenbild schätzen.

 

Geht es der Tangermünder Wirtschaft gut?

Wir blicken jetzt auf mehrere Corona-Jahre zurück. Gemessen daran sind wir gut oder jedenfalls glimpflich durch diese Krisenjahre gekommen. Mit Blick auf die Energiesituation – insbesondere Strom und Gas verteuern sich extrem stark – bin ich mit Prognosen vorsichtig. Es gibt zurzeit [Februar 2023, d. Red.] zwar keinen größeren Betrieb, der in Gefahr ist. Aber alles wird teurer, darum ist die Stimmung zumindest verhalten. Eine hohe Inflationsrate trübt die Kauflaune, schadet dem Konsum. Unsere Handwerksbetriebe stehen vor der manchmal paradoxen Situation, dass sie volle Auftragsbücher haben, ihnen aber die Fachkräfte fehlen, diese Aufträge angemessen schnell auszuführen. Auch aus der Industrie hören wir die Klagen über den Fachkräfte-Mangel.

Bürgermeister Steffen Schilm im Rathaus von Tangermünde © Norbert Perner/perner&schmidt werbung und design gmbh

Welche langfristigen Ziele verfolgen Sie als Bürgermeister?

Jedem in Tangermünde würde vermutlich ein Problem einfallen, das uns seit 2015 schon umtreibt: die Sedimentablagerungen in der Elbe, die unsere Uferpromenade beeinträchtigen, so dass keine Boote dort anlegen können. Endlich haben wir eine Lösung gefunden, die rechtlich genehmigungsfähig und technisch umsetzbar ist. Wir haben einen Ansatz gefunden, das Problem durch eine Umverlagerung in ein anderes Areal schon 2023 anzugehen und spätestens 2024 zu vollenden. Dann kann endlich der Wassertourismus wieder in Gang kommen. Daneben gibt es Ideen zu Übernachtungsbooten, die am Steg anlegen könnten, Auch das würde unsere Elbpromenade lebendiger machen und weiter aufwerten. Private Investoren haben Ideen, den Speicher zu nutzen: für Wohnbebauung, Gewerbe und Handel. Diese gemischte Nutzung käme der ganzen Stadt zugute.

 

Wie steht es um die Energiewende in Tangermünde?

Mit unserem Partner Avacon tut sich eine ganze Menge. Vertraut im Stadtbild sind die E-Bike-Stationen und die die E-Roller, die mehrere Gastronomen leihweise anbieten. Bei unseren größeren Planungen ist zunächst an ein Fernwärmenetz zu denken. Dieser Weg, von den „alten“, fossilen Energieträgern wegzukommen, scheint mir besonders aussichtsreich. Zur kommunalen Wärmeplanung hat der Stadtrat schon beraten, Tangermünde ist er Zeit voraus, aber noch ist nichts unterschriftsreif. Für schnelle Entscheidungen ist das Thema zu groß.

Eine Stadt zum Anfassen

Tangermünde im Landkreis Stendal kann nun auch mit den Händen erforscht werden. Möglich macht das ein besonderes Blindentastmodell der Kaiserstadt aus Zinnbronze.
Von links: Avacon Kommunalreferent Carsten Birkholz, Hildegard Wynands vom Kultur- und Museumsverein, der Künstler Egbert Broerken, Jürgen Pyrdok, Bürgermeister bis 2022, und Steffen Schilm, bis 2022 Hauptamtsleiter und seit 2022 Bürgermeister, mit dem Modell des Blindentastmodells Tangermünde. © Carsten Birkholz

Stolze 200 Kilogramm ist es schwer, das Werk des Künstlers Egbert Broerken – und das ohne Sockel. Im Maßstab 1:650 lässt sich das Stadtbild Tangermündes buchstäblich erfühlen: die Altstadt mit ihren bekannten Gebäuden wie der Kirche und dem Rathaus, aber auch Stadtmauer, Burganlage und der Hafen der Hansestadt. Das etwa zwei mal einen Meter große Kunstwerk bietet Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung die Möglichkeit, ihre Heimatstadt ganz neu zu entdecken: Mit dem Tastsinn. Bereits über 200 solcher Modelle schuf der Kunsthandwerker Broerken auf der ganzen Welt.

Blindentastmodell Tangermünde Nahaufnahme
Ein echtes Gemeinschaftsprojekt

„Mein Dank gilt allen Beteiligten Spendern, dem Kultur- und Museumsverein, Ideengeber und Intitiator Carsten Birkholz und natürlich dem Künstler Egbert Broerken für die tolle Umsetzung dieses inklusiven Projekts“, zeigt sich Bürgermeister Jürgen Pyrdok begeistert. Die Finanzierung der 40.000 Euro war ein Gemeinschaftsprojekt von Unternehmen der Region, Tangermündern Bürgern, des Kulturvereins und der Stadt. Das Kunstwerk steht nun auf einem Sandsteinsockel vor der Kirche. Das Material Zinnbronze wird auch Goldbronze genannt. Der Grund: Dort, wo das Modell besonders oft von neugierigen Händen berührt wird, schimmert es künftig golden.