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Kreative Konzepte für Kommunen

Die Zukunft des Landarztes

© Mario Bannehr/mariobannehr.jimdosite.com

26 Jahre lang versorgte „Der Landarzt“ die Einwohner von Deekelsen, bevor das ZDF die beliebte Fernsehserie 2013 in Rente schickte. Das Verschwinden von Dr. Karsten Mattiesen, Dr. Ulrich Teschner und Dr. Jan Bergmann von der Bildfläche steht durchaus symptomatisch für die Zunft niedergelassener Allgemeinmediziner. Es droht ein massiver Mangel an Hausärzten. Vielerorts suchen Gemeinden bereits händeringend Nachfolger. Allein in Sachsen-Anhalt ist fast jeder sechste Hausarzt älter als 65. Nach Angaben der Landesregierung sind 2021 bereits 280 Hausarztstellen unbesetzt. Das entspricht einer Quote von gut zehn Prozent.  Dem niedersächsischen Städte- und Gemeindebund (NSGB) zufolge geht in den nächsten zehn Jahren etwa jeder dritte der 14.600 niedergelassenen Ärzte in Niedersachsen in den Ruhestand. Aktuell sind knapp neun Prozent der Hausarztstellen vakant (Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung).

Ausgelernte zieht es eher in die Großstädte als in ländliche Regionen und kleinere Städte. Denn das Image der niedergelassenen Ärzte dort ist nicht gerade das attraktivste: überfüllte Praxen, lange Arbeitstage, viel Bürokratie, teils weite Wege für Hausbesuche. Laut einer Studie der Robert-Bosch-Stiftung aus dem Jahr 2021 entscheiden sich nachrückende Ärzte immer häufiger für Angestelltenverhältnisse und Teilzeitmodelle. Länder und Kommunen haben die Herausforderung erkannt – und angenommen. Mit etlichen Maßnahmen wollen Sie die Gesundheitsversorgung sichern.

Was Kommunen tun können

Avacon im Gespräch mit dem Vorsitzenden im Deutschen Hausärzteverband – Landesverband Niedersachsen e. V., Dr. med. Matthias Berndt.

© H.-J. Wege/Hausärzteverband Niedersachsen

Herr Dr. Berndt, wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen, um langfristig die medizinische Versorgung im ländlichen Raum sicherzustellen?

Die liegt zum einen sicher in der medizinischen Aus- und Weiterbildung selbst. Nicht, dass insgesamt zu wenig Mediziner ausgebildet würden. Aber, und darunter leidet besonders die medizinische Versorgung im ländlichen Raum, es sind zu wenig Allgemeinmediziner. Seit Jahren schließen aufgrund vielfältiger Ursachen nur ca. zwölf Prozent der jährlichen Prüflinge ihre Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin ab.  Es müssten aber 25 Prozent sein, um die medizinische Grundversorgung sicher stellen zu können. Das Problem ist seit Langem erkannt. Bereits 2017 wurde der „Masterplan Medizinstudium 2020“, der insbesondere die hausärztliche Medizin stärken soll, beschlossen, aber leider immer noch nicht umgesetzt. Hier ist dringend politischer Handlungsbedarf geboten, um einen Konsens zwischen Bundes- und Länderebene zur Finanzierung zu finden. Wenn wir als Gesellschaft nicht in die hausärztliche Aus- und Weiterbildung investieren, werden weitere Praxen keine Nachfolger finden und die Lage der medizinischen Versorgung wird sich im ländlichen Raum weiter verschärfen.

 

Was können aus Ihrer Sicht Landkreise und Kommunen zur Lösung beitragen?

Als Wichtigstes: Landes- und Bundespolitiker aus ihren regionalen Wahlkreisen ansprechen und die Umsetzung des Masterplans 2020 einfordern. Aber auch vor Ort ist vieles möglich und da gibt es ja auch schon vereinzelt vielversprechende Projekte. Ein wichtiger Ansatzpunkt scheint mir die Bindung junger Menschen an die Region zu sein, aus der sie kommen. Die geht häufig durch das Studium verloren. Gymnasiasten, die für ein Medizinstudium den Heimatort verlassen, könnten mit einem Stipendium an die Region gebunden werden. Das Ganze sollte begleitet sein durch ein sorgfältig organisiertes Programm. Das könnte reichen von Praktika bei dem örtlichen Landarzt oder Landärztin über regelmäßige Einladungen zu speziellen Events bis hin zur Unterstützung bei Blutspendeaktionen oder auch der frühzeitigen Einbindung in den Beraterkreis des Landkreises oder der Kommune zum Thema ärztlicher Versorgung im ländlichen Raum. Wichtig erscheint mir dabei, auch die Partner oder die jungen Familien der angehenden Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner im Fokus zu haben. Stichworte sind hier günstiger Wohnraum, Kitas und Schulen sowie insgesamt die Lebensqualität auf dem Land. Auch kann es förderlich sein, für die Partner bei der Vermittlung von Arbeitsstellen behilflich zu sein.

 

Wo sehen sie Möglichkeiten, dass Kommunen selbst Infrastruktur für medizinische Versorgung fördern können?

Ländliche Kommune haben ja in der Regel den Vorteil, viel Platz und günstiges Bauland zu haben. Das sollten sie nutzen. Die Kommunen, zusammen mit ihrem Landkreis und im Verbund mit Nachbargemeinden, könnten ein Ärztehaus bauen und so attraktive Infrastruktur für Ärzte zur Verfügung stellen. Modellprojekte zeigen, dass sich das organisieren ließe als Bürgergenossenschaft, an der sich aber auch interessierte Ärzte als Treiber und Teilhaber beteiligen können sollten. Verknüpft mit Dienstleistungen von Physiotherapeuten, Apothekern, Pflege- und Notfalldiensten sowie koordiniert mit den Leistungen des regionalen Schwerpunkt-Krankenhauses entstünde so eine medizinische Versorgung im ländlichen Raum, die maßgebliche Bereiche abdeckt und auch dem demografischen Wandel gerecht wird. Machbar ist das. Es braucht aber viel Engagement vor Ort.

© fotolia-PhotoSG

Vielfach wird auch Telemedizin als Lösung diskutiert. Was halten Sie davon?

Der Stellenwert von Telemedizin wird meines Erachtens gerade für unsere Fragestellung vielfach überschätzt. Wer konferiert denn aktuell mit seinem Arzt per Videosprechstunde? Das sind meist die jungen, mobilen Leute mit leichten Krankheiten, weil es bequem ist und ständig verfügbar.
Ältere Menschen, die mehrere Krankheiten haben, oder ernsthaft Kranken hilft das kaum weiter. Der Zusatznutzen zu einem Telefonat ist leider sehr begrenzt. Und selbst wenn sie für eine schnelle Einschätzung mal eine Videosprechstunde nutzen, sind Patientinnen und Patienten bei ernsteren Erkrankungen doch wieder auf den Arzt vor Ort angewiesen.

Der persönliche Kontakt und die Erfahrung des behandelnden Arztes mit „seinen“ Patientinnen und Patienten bleiben für eine verlässliche Diagnose in der Regel unentbehrlich. Der Zusatznutzen von Telemedizin hält sich also leider sehr in Grenzen.

Landarztquote für die Universität

Damit künftig mehr Nachwuchsmediziner dazu beitragen, die ländliche Gesundheitsversorgung zu sichern, hat die Landesregierung in Sachsen-Anhalt Ende 2018 beschlossen, eine Landarztquote von fünf Prozent einzuführen. Bis zu 20 Studienplätze werden pro Jahr für Kandidaten reserviert werden, die sich verpflichten, nach der Ausbildung im ländlichen Raum tätig zu werden – zumindest für eine bestimmte Zeit. Dafür wurde auch die Studienplatzvergabe angepasst werden. 
Mehr Informationen: landarztquote-sachsen-anhalt.de

In Niedersachsen hat sich die Landesregierung zu Beginn des Jahres 2020 auf eine Landarztquote von zehn Prozent verständigt. Zum Wintersemester 2021/22 soll sie voraussichtlich erste Mal zum Einsatz kommen. Dazu sollen neue Medizinstudienplätze geschaffen, Allgemeinmedizin zum Pflichtfach gemacht und den Studenten Mentoren sowie Lehrarztpraxen zur Seite gestellt werden. Darüber hinaus macht das Land Fachärzten den Quereinstieg zum Hausarzt einfacher. Auch Niederlassungsförderungen und Umsatzgarantien sollen mehr Mediziner dazu bewegen, sich in kleineren Gemeinden niederzulassen. 

Ärzte und Patienten vernetzen

Innovationspreis für Osterburger Medizinstipendium

Nico Schulz Bürgermeister Osterburg
Nico Schulz, Bürgermeister der Einheitsgemeinde Osterburg © Privat

Die Hansestadt Osterburg (Altmark) im Landkreis Stendal startete 2017 das Projekt „Perspektive Landarzt – Am Puls der Zeit“ mit dem Ziel, die ärztliche Versorgung in der Kleinstadt langfristig sicherzustellen. Herzstück des ambitionierten Konzepts, das unter anderen vom Land Sachsen-Anhalt gefördert wird, war die Vergabe von insgesamt drei Medizinstipendien an Abiturient*innen des örtlichen Gymnasiums innerhalb von fünf Jahren. Es wurde mit dem Innovationspreis „Ausgezeichnete Gesundheit 2019“ geehrt. Um Nachwuchsärzte für eine Niederlassung in Osterburg zu gewinnen, bietet die Einheitsgemeinde zusätzlich Fördermittel für Praxissanierungen, Unterstützung von Zweigpraxen, aktives Standortmarketing, enge Kooperationen mit Universitäten, die Förderung von Telemedizin und Mobilität sowie mietfreien Wohnraum für Medizinstudenten an. Der Landkreis Stendal hat kürzlich ein vergleichbares Projekt gestartet. Das dazugehörige Online-Portal soll Patienten und Ärzten gleichermaßen als zentrale Informations- und Kontaktplattform dienen.
„Mit dem Ärzte-Online-Portal sind wir am Puls der Zeit und präsentieren Osterburg als attraktiven Gesundheitsstandort – nicht zuletzt für potenzielle Arztanwärter“, so Bürgermeister Nico Schulz. „Der Innovationspreis ist eine tolle Bestätigung für die gute Zusammenarbeit unserer Stadt mit den ansässigen Ärzten und der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt. Gemeinsam machen wir die Gesundheitsversorgung unserer Einheitsgemeinde zukunftsfähig.“

Weitere Informationen zum Projekt gibt es unter
perspektive-landarzt.de

Über die bisher gemachten Erfahrungen mit der Vergabe von drei Medizinstipendien sprach Avacon mit Anke Müller, Leiterin des Amtes für Verwaltungssteuerung und Demografie der Hansestadt Osterburg im Landkreis Stendal.
Lena Grünthal war 2017 die erste Abiturientin des örtlichen Gymnasiums, die sich für das Medizinstipendium entschied: hier bei der Vertragsunterzeichnung mit Bürgermeister Nico Schulz. © Jana Henning
Frau Müller, inzwischen konnte die Stadt Osterburg alle drei Stipendien vergeben. War das einfach?

Letztlich ja. Aber das sah nicht von Anfang an so aus. Bewerben können sich ja nur Abiturienten, die einen Medizinstudienplatz vorweisen können. Das ist nach wie vor nicht einfach. Im ersten Jahr hatten wir auch nur eine Bewerberin. Sie wird voraussichtlich Ende 2022 ihr Grundstudium abschließen und dann ihre Facharztausbildung beginnen. Im zweiten Jahr gab es einige interessierte Nachfragen. Da kamen schon leichte Bedenken auf, ob wir letztlich erfolgreich sein werden. 2019 hatten wir vier Bewerbungen, konnten jedoch nur noch zwei Stipendien vergeben.

 

Ist die Bindung der Stipendiaten an Osterburg über die Studienzeit hinaus erhalten geblieben?

Ja, auf jeden Fall. Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen. Anna Dähnrich, eine unserer Stipendiatinnen, arbeitet gerade sehr engagiert im Impfteam des Landkreises Stendal mit und war hier in Osterburg beim großen Impftag mit vor Ort. Und auch die beiden anderen werben immer wieder sehr positiv für unsere Projekte. Das bestätigt uns darin, viel richtig gemacht zu haben.

 

Würden Sie im Rückblick etwas anders machen?

Nein, nichts! Auch die Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung war ausgezeichnet. Außerdem verzeichnen wir einen positiven Nebeneffekt: Dank unserer Homepage sowie der begleitenden Berichterstattung sind auch andere Ärzte auf uns aufmerksam geworden und haben eruiert, ob sie hier in der Region eine Praxis übernehmen könnten.

Medizinernachwuchs aufs Land holen

Jeyachandru Emanualyanus ist Hausarzt in Brinkum
© Privat

Die Landkreise Nienburg und Diepholz bieten ebenfalls Stipendienprogramme für Medizinstudenten an, die sich bereit erklären, später für eine bestimmte Zeit in den Landkreisen zu praktizieren. Jeyachandru Emanualyanus war einer der ersten, der die Diepholzer Förderung in Anspruch nahm. Rund fünf Stipendien jährlich vergibt der Landkreis seit 2012. Sechs Jahre lang zahlte Diepholz dem gebürtigen Bassumer 300 Euro im Monat. Doch Emanualyanus ging diesen Weg nicht des Geldes wegen. Er wollte ohnehin Hausarzt werden – aus Überzeugung. Seine Weiterbildung als Facharzt machte Emanualyanus als Teil des Ärzteteams der Praxis von Allgemeinmediziner Jens Niemann in Brinkum, einem Ortsteil der Gemeinde Stuhr.

„Ich möchte nah bei den Menschen sein. Für Gemeinden wie Stuhr sind Hausärzte von zentraler Bedeutung für die Leute und die Gemeinschaft vor Ort. Dazu möchte ich einen Teil beitragen.“

Jeyachandru Emanualyanus, Hausarzt in Brinkum

Innovative Mobilität fördern

Übergabe des Renault Twizzy an Christiane Müller
Von Links: Peter Stöhr (Lebenspartner der Ärztin), Andreas Kunz von der New Colour Werbeagentur, Ärztin Christiane Müller, Avacon-Kommunalreferent Klaus Schmekies und Lothar Riedinger, Bürgermeister der Stadt Arneburg. © Karina Hoppe.

Auch innovative Konzepte im Bereich der Mobilität können die Attraktivität von Kommunen steigern und so ein reizvolles Arbeitsumfeld für Hausärzte bieten. Zu diesem Zweck unterstützt Avacon die Gemeindeärztin Christine Müller in der Verbandsgemeinde Arneburg-Goldbeck. Seit Januar 2019 ist die Ärztin der Allgemein- und Notfallmedizin mit einem Renault Twizzy unterwegs. Avavon fördert den kleinen Elektro-Flitzer drei Jahre lang mit rund 90 Euro monatlich. Es ist das erste Mal, dass der Netzbetreiber auf diese Weise eine Arztpaxis unterstützt.

 

„Ich möchte mit dem Twizzy ein Zeichen für emissionsfreies Fahren setzen und eine Lanze für die Zukunftsfähigkeit ländlicher Regionen brechen.“

Dipl. med. Christiane Müller, Landärztin in Arneburg-Goldbeck

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